Nigel
Farage –
Und über andere ganz falsche Propheten
Es
gibt Blender, die sind so gut, dass sie sich sogar selber blenden.
Rose
von der Au,
deutsche Lyrikerin.
Nach
länger Zeit, in der mich berufliche Verpflichtungen und anderweitige
persönliche Interessen davon abhielten, auf dieser schönen
Plattform tätig zu sein und regelmäßig zu lesen, staunte ich bei
meiner Wiederkehr nicht schlecht, in welche Richtung viele der hier
geposteten Beiträge zielen.
Besonders der Beitrag über den
Gastauftritt von Nigel Farage in der Schweiz stieß mir sauer auf,
zeigte er doch, dass diesem Mann (und den durch ihn vertretenen
Ideen) auch hier ziemlich viel und unkritisch Raum und Publicity
gegeben wird.
Bedauerlicherweise
geschieht es nicht nur hier auf dieser Plattform, dass der sog.
Europa-Politiker aus Großbritannien gerne vorgezeigt wird, wenn es
darum geht, Missstände (die es in der EU sicher gibt) aufzuzeigen.
Mit dem Hinweis, dass da endlich einer mal Klartext spräche, lässt
man ihm selbst Beleidigungen Andersdenkender durchgehen. Besonders
wenn es um die Verteidigung der sozialen Bürgerrechte geht, beziehen
sich sogar sog. Linke auf Farage, völlig ungeachtet, dass der Brite
genau das Gegenteil davon vertritt.
Nigel
Farage ist Parteichef der UK Independence Party (UKIP) und Mitglied
des Europa-Parlaments seit 1999, eingebunden in die Parlamentsgruppe
“Europa der Freiheit und der Demokratie”. Nigel Farage bezeichnet
sich selbst als libertär (Anm
d Verf:
nicht
verwechseln mit liberal) und er sagt, Margaret Thatcher sei
"für
ihn persönlich eine große Inspiration"
*1 gewesen.
Das hat der ehemalige Investment-Banker schließlich
gelernt und an vielen Problemen die er heute anprangert (z.B.
Probleme mit dem Euro), war er von der City
of London
aus, sozusagen als Täter und Mit-Verursacher, beteiligt.
Die Bank
ausrauben und haltet den Dieb rufen, ist charakteristisch für
populistische Marktradikale, wie es sie in vielen europäischen
Ländern gibt (z.B. in Deutschland der Herr Lucke von der AfD).
Farage ist ein Mann, der Unzufriedene (oft genug auch Uninformierte)
aller Richtungen hinter sich sammelt, die ihn als Kritiker des
Systems zu ihrem Zeugen machen wollen.
Schaut
man sich aber die oben genannte Gruppe “Europa der Freiheit und der
Demokratie” einmal genauer an, dann wird man erschrecken, wer sich
da so alles tummelt: Das geht von der italienischen Lega Norte bis zu
den dänischen Rechtsradikalen, von der orthodoxen Partei
Griechenlands bis zur französischen Front National.
Was sie
zusammenhält ist ihr Euro-Skeptizismus, ihr Nationalismus und ihr
Hass auf Immigranten (besonders muslimische). Somit kann man ruhigen
Gewissens sagen: Farage ist ein Ultra-Rechter ist wie Le Pen in
Frankreich oder die Morgenröte in Griechenland. Für seine Familie
kann man bekanntlich nichts, aber seine Freunde (besonders die
politischen) kann man sich aussuchen… und das wirft dann ein Licht
auf einen selbst, wenn man sich solche Freunde sucht.
Wer
macht sich schon die Mühe Parteiprogramme zu lesen? Man könnte ja
heraus finden, dass das was der Mann sagt, eben doch nur
Schaumschlägerei ist oder jedenfalls nichts mit den Interessen der
sog. Kleinen Leute (die er vorgibt zu vertreten) zu tun hat. Dass die
UKIP, also die Partei von Nigel Farage, rechtsradikal ist wird klar,
wenn man sich anschaut was sie erreichen will (ich beschränke mich
auf ein paar wenige Punkte *2):
>
Immigration eliminieren
>
Sofortige Ausweisung aller illegalen Immigranten
>
Eliminierung aller Konzepte, die “Multikultur befördern „
>
Abschaffung der Bewegungsfreiheit der Bürger in Europa
>
der Sozialstaat Großbritanniens nur für englische Bürger
>
Ablehnung von Abgaben auf Finanztransaktionen
>
Steigerung des britischen Militärhaushalts um 40 Prozent
>
Erhöhung der Gefängnis-Plätze um 50 Prozent
>
drastische
Verschärfung des Strafrechts
>
Wiedereinführung der Todesstrafe
>
Einfrieren aller Gehälter und Renten im öffentlichen Sektor
>
Förderung und Ausweitung von Atomkraftwerken
>
Ablehnung aller Justiz, die nicht britisch ist
>
Briten zuerst!
Die
Kritik am System des ewig lauten und polemisch klingenden Farage wird
oft genug genüsslich aufgesogen von Menschen, die glauben, endlich
einen unangepassten Verteidiger sozialer Errungenschaften und der
Bürgerrechte gefunden zu haben, weil sie sich von seiner aggressiven
Kritik am Establishment blenden lassen, die jedoch leicht auseinander
zu nehmen ist, wenn man etwas genauer hinschaut.
Niemand
sollte sich umgarnen lassen von Politikern, deren Vorträge auf der
Zerstörung hart erarbeiteter Errungenschaften aufgebaut sind,
anstatt auf deren Weiterentwicklung im Interesse der Menschen.
Purer
Populismus und untaugliche Ideen und Vorschläge, die sogar Hass und
Beleidigung als legitimes Argument zulassen wollen, kann zu nichts
anderem führen, als zur Verschärfung der Probleme, die man vorgibt
beseitigen zu wollen.
Auch
wenn Teile von Farages Vorträgen eingängig klingen mögen, darf man
sich nicht von ihnen vereinnahmen lassen und beginnen sie zu
relativieren; nach dem Motto “auch wenn der von Rechtsaußen kommt,
da hat er Recht” oder “der sagt aber die Wahrheit”.
Er
hat eben nicht Recht und sagt auch nicht die Wahrheit, die versteckt
er hinter den eingängigen Floskeln und verlässt sich dann darauf,
dass niemand dahinter kommt, was er eigentlich im Schilde führt.
Weit
davon entfernt, diesen Mann mit Figuren aus der jüngeren Geschichte
gleichsetzen zu wollen, sage ich trotzdem, dass die Methode nicht neu
ist und es sie schon oft erfolgreich Anwendung fand. Das System das
er anprangert, wird eigentlich von ihm geschützt, in dem man
Sündenböcke proklamiert, die an allen Missständen des Systems
schuld sein sollen; z.B. Immigranten (besonders moslemische… ohne
zu sagen, warum gerade die).
Es müssen halt immer Minderheiten
herhalten, die sich nicht so gut wehren können. Dann lautet die
Parole plötzlich „Briten zuerst“. Glaubt den irgendein
Nicht-Brite, dass dieser Farage ausgerechnet diesen Spruch nicht
wörtlich meint? Und was hat man dann als Nicht-Brite davon, wenn man
dem Mann zujubelt? Wir Deutschen haben ja historische Erfahrung mit
solchen Methoden. Damals (und heute wieder – nur etwas leiser
vielleicht) hieß das Deutschland über alles…
Aus
solchen Quellen speist sich aktuell in Deutschland auch die sog.
PEGIDA. Wie in vielen Ländern Europas, tauchen auch in D plötzlich
selbsternannte Anwälte der “Kleinen Leute” auf, die
unterschwelligen Unmut aufgreifen und ihn (zu ihrem persönlichen
Vorteil) auf jene lenken, die eigentlich nichts dafür können, aber
als Sündenböck so herrlich funktionieren.
Richtige Lösungen
beruhen aber nicht auf Stimmungen, sondern auf Analysen und den
richtigen Schlussfolgerungen daraus. Die interessante Frage ist nun:
Aus welchen Quellen speist sich nun dieser Unmut? Meine Antwort
lautet: Aus einem Legitimitäts-Problem des
kapitalistisch/demokratischen Systems. Viele Menschen spüren, dass
es in unseren Gesellschaften total ungerecht zugeht. Während
Millionen Leute in prekären Jobs nicht die Butter aufs Brot
verdienen, stecken sich die sog. Eliten die Taschen voll.
Während
das Bankensystem mit Billionen vor dem selbstverschuldeten Kollaps
gerettet wurde, bestraft man Arbeitslose mit Leistungsentzug, wenn
sie sich zu einem Termin im Amt verspäten; weintrinkende lebenslang
versorgte Hochschulprofessoren, predigen kleinen Leuten das
Wassertrinken (und diese professoralen Halunken werden auch noch von
den von ihnen Verhöhnten hier auf dieser Plattform gelobt – z.B.
der Herr Sinn *3)...
usw.
Natürlich
nehmen uns Ausländer die Arbeitsplätze ab: General Motors aus USA
schließt einen Standort in Bochum, obwohl dort Schwarze Zahlen
geschrieben wurden; die Finnen von Nokia hatten vorher schon einen
ganzen Standort nach Rumänien verlegt, weil sie dort Subventionen
abgreifen konnten… die Reihe ließe sich sehr lange fortsetzen.
Nur, sich dagegen zu wehren ist nicht so einfach wie auf Immigranten
zu schimpfen und es hieße, sich gegen das System zu stellen. Aber
dafür reicht wohl das Mütchen nicht, das kühlt man sich lieber an
den Schwachen. Das System würde sich das nämlich nicht gefallen
lassen und schließlich die Gegner eliminieren (man schaue aktuell
nach Hongkong und frage sich, warum der Westen nicht massiv
protestiert... vielleicht hat man Verständnis).
Fest
steht, dass der gesellschaftliche Verteilungsspielraum massiv zu
Ungunsten der arbeitenden Bevölkerung eingeschränkt und dafür das
gesellschaftliche Produkt auf Wenige – von unten nach oben –
verteilt wurde.
Die sog. Eliten ziehen sich aus der Finanzierung des
Gemeinwesens zurück und überlassen das den Habenichtsen. Die
„soziale Mangelwirtschaft“, z.B. in Rente, Gesundheit und
Bildung, resultiert daraus. Und genau das ist die Quelle des Unmuts:
Die Ungerechtigkeit. Nur, um die zu beseitigen ist es unsinnig auf
Immigranten zu deuten. Es sei denn, es geht gar nicht um die
berechtigten Interessen der Menschen einer Gesellschaft und man
vertritt klammheimlich ganz andere Absichten.
Dann, und nur dann,
macht die Sündenbock-Politik Sinn… und wer sich in diesem Wissen
vor den Karren einer PEGIDA oder eines Nigel Farage spannen lässt,
muss sich den Vorwurf gefallen lassen ein politischer Rechtsaußen zu
sein.
Wie
oben schon erwähnt, haben wir in Deutschland direkt (und im
Anschluss danach im übrigen Europa leider indirekt) leidvolle
Erfahrungen mit Rechtsaußen machen müssen. So etwas sollte in der
EU und ganz Europa nicht noch einmal passieren; weder in GB noch in
D, weder in CH noch in F. Niemand sollte später mal sagen, man
hätten nicht gewusst, was Leute wie Nigel Farage und die übrige
Riege der Rechtspopulisten geplant hatten.
Wer
sich auf den schrillen Europa-Politiker beruft, sollte genau wissen,
was er tut.
Übrigens: Farage ist ein Hugenotten-Name… wenn die Vorfahren von
Nigel Farage genauso behandelt worden wären, wie er es mit heutigen
Immigranten zu tun gedenkt, dann gäbe es ihn nicht…
Wilfried
John Tiefenbach, den 01.01.2015
*2)
http://de.wikipedia.org/wiki/UK_Independence_Party
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